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Fahrradunfall einer ehrenamtlichen Pflegekraft auf dem Rückweg von Besorgungen für die zu pflegenden Eltern (Arzneimittel/Wildfleisch) als Arbeitsunfall anerkannt

Datum: 15.01.2021

Kurzbeschreibung: 
Landessozialgericht verurteilt Unfallkasse Baden-Württemberg, den Fahrradunfall einer ehrenamtlichen Pflegekraft im Jahre 2008 auf dem Rückweg von Besorgungen für die Pflegepersonen (Arzneimittel bzw. Wildfleisch) als versicherten Arbeitsunfall anzuerkennen. Damit hat die Klägerin nach 12 Jahre dauernden Rechtsstreitigkeiten erstmals auch in der zweiten Instanz der Sozialgerichtsbarkeit Erfolg.

Urteil vom 16.12.2020, Aktenzeichen L 1 U 1664/20

Die Klägerin K pflegte ihre Eltern und war bei der Pflegekasse angemeldet. An einem Sonntag im Mai 2008 besorgte sie mit dem Fahrrad bei einem befreundeten Arzt privat sowohl ein Schmerzmedikament für ihren Vater als auch eine kleine Menge Wildfleisch. Auf dem Rückweg stürzte sie mit dem Fahrrad und erlitt Verletzungen am linken Knie. Der spätere Heilungsverlauf gestaltete sich schwierig. Womöglich hat der Unfall erhebliche bleibende Schäden zur Folge.

Unmittelbar nach dem Unfall gab K in ihrem Antrag gegenüber der Unfallkasse an, die Fahrradfahrt habe sowohl der Medikamenten- als auch der Nahrungsmittelbeschaffung gedient. Bei einem späteren Gespräch mit einem Mitarbeiter der Unfallkasse rückte sie auf Nachfrage das Schmerzmittel in den Vordergrund; das Fleisch habe sie nur bei dieser Gelegenheit mitgenommen.

Die Unfallkasse lehnte daraufhin noch 2008 die Anerkennung als Arbeitsunfall ab, weil eine ehrenamtliche Pflegeperson nur bei der Besorgung von Nahrungsmitteln, nicht aber von Medikamenten unfallversichert sei.

Es folgten mehrere Rechtsstreitigkeiten vor dem Sozialgericht Mannheim (SG), dem Landessozialgericht und (wegen Verfahrensfragen) auch vor dem Bundessozialgericht. Dabei stritten die Parteien nicht nur darum, welche der beiden Verrichtungen nach der „Handlungstendenz“ von K im Vordergrund stand, sondern auch darum, ob das Wildfleisch wirklich für die zu pflegenden Eltern bestimmt und für die Versorgung derselben erforderlich war. Das SG gab K zuletzt Recht: Die (unstreitig unfallversicherte) Besorgung des Fleisches sei der wesentliche Zweck der Fahrradfahrt gewesen.

Diese Entscheidung hat der 1. Senat des LSG nun bestätigt: Zwar habe keiner der beiden Zwecke der Fahrradfahrt im Vordergrund gestanden, weil es kaum möglich sei, bei einer solchen einheitlichen Verrichtung verschiedene „Handlungstendenzen“ gegeneinander abzugrenzen. Dass K zeitweise angegeben hatte, die Besorgung der Medikamente sei Hauptzweck gewesen, gereiche ihr nicht zum Nachteil. Diese Aussage dürfte sie getan haben, weil aus Laiensicht eher die Besorgung von Medikamenten versichert sei als die Nahrungsmittelbesorgung. Der Lebenswirklichkeit hätten eher die allerersten Angaben der K in ihrem Antrag bei der Unfallkasse entsprochen, dass sie beide Zwecke verfolgt habe. Im Übrigen sei es unschädlich, dass die Nahrungsmittelbeschaffung nicht im Vordergrund gestanden habe. Denn auch bei der Besorgung von Schmerzmitteln handle es sich um eine unfallversicherte Tätigkeit einer Pflegeperson. Daher sei es auf die Frage der Handlungstendenz nicht mehr angekommen. 

Das Urteil ist nicht rechtskräftig: Wegen grundsätzlicher Bedeutung wurde die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen. Die Unfallkasse wird, wenn das Urteil rechtskräftig wird, im Nachgang über Leistungen an K entscheiden, etwa über die Erstattung von Behandlungskosten, eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme oder eine Verletztenrente. 

 

Relevante Vorschriften (in den hier maßgeblichen geltenden Fassungen von 2008)

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Unfallversicherung:

§ 2. Versicherung kraft Gesetzes. Kraft Gesetzes sind versichert (…)

17.  Pflegepersonen im Sinne des § 19 des Elften Buches bei der Pflege eines Pflegebedürftigen im Sinne des § 14 des Elften Buches; die versicherte Tätigkeit umfaßt Pflegetätigkeiten im Bereich der Körperpflege und - soweit diese Tätigkeiten überwiegend Pflegebedürftigen zugute kommen - Pflegetätigkeiten in den Bereichen der Ernährung, der Mobilität sowie der hauswirtschaftlichen Versorgung (§ 14 Abs. 4 des Elften Buches).

Elftes Buch Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung

§ 14. Begriff der Pflegebedürftigkeit. (1) Pflegebedürftig im Sinne dieses Buches sind Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße (§ 15) der Hilfe bedürfen.

(4) Gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im Sinne des Absatzes 1 sind: (…) 4.      im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen.

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